Die Geschichte von Hauptwil-Gottshaus

Hauptwil-Gottshaus besteht aus zwei Gemeindeteilen, die sich 1996 zu einer Politischen Gemeinde zusammenschlossen. Gemeinsam bilden sie nun das «Paradies im Grünen», das auf eine reichhaltige und interessante Geschichte zurückblicken kann. Hauptwil stand mehrmals im Brennpunkt wichtiger Ereignisse, so mit dem Bau einer neuartigen Leinenmanufaktur (1665) oder als Ausgangspunkt der revolutionären Bewegung zur Befreiung des Thurgaus (1798). Weiter war es ein Zentrum des Textildrucks und der Färberei sowie vorübergehender Wirkungsort des Dichters Friedrich Hölderlin (1801). Noch heute ist es Sitz einer historisch gewachsenen freikirchlichen Bewegung und der Ort mit der schweizweit grössten Dichte an Wohnhäusern, die in Lehmbauweise errichtet wurden. Viele der bemerkenswerten baulichen Zeugen aus der Vergangenheit haben sich bis in unsere Tage erhalten. Der 1995 geschaffene Industrielehrpfad weist Interessierten den Weg zu einigen dieser Gebäulichkeiten.

«Für die sorgsame Pflege dieses kostbaren historischen Schatzes, zu dem auch das älteste Arbeiterwohnhaus der Schweiz zählt, wurde Hauptwil 1999 der Wakkerpreis des Schweizer Heimatschutzes zugesprochen.»

Mit Zeugnissen aus dem 13. Jahrhundert ist der Gemeindeteil Gottshaus früher belegt. Im Gegensatz zum frühindustriellen Hauptwil blieb das bis 1798 dem Chorherrenstift St.Pelagius in Bischofszell zugehörige Gottshaus aber fast ausschliesslich auf Landwirtschaft ausgerichtet. Um den historisch gewachsenen Unterschieden zwischen den beiden Gemeindeteilen gerecht zu werden, wird deren Geschichte im Folgenden getrennt dargestellt.

Hauptwil

Die ehemalige Ortsgemeinde Hauptwil mit dem Dorf und den Weilern Schlatt, Freihirten, Langentannen und Rugglishub zählte rund 800 bis 900 Einwohner und gilt als eine Perle in der historischen Landschaft des Thurgaus. Die inzwischen 600-jährige Geschichte begann mit einem unbedeutenden Weiler, erhielt jedoch im Zuge der frühen Industrialisierung eine Ausstrahlung und Bedeutung, die weit über die Region hinausging.

Türmli Hauptwil
Zum Trauben

Hoptwyl – Hauptweil – Hauptwil

In einer Urkunde von 1413 taucht der Ortsname als «Hobtwile» erstmals auf. Im 18. und vor allem im 19. Jahrhundert bürgerte sich im schriftlichen Verkehr die Bezeichnung «Hauptweil» ein, die jedoch 1903 zugunsten des geläufigeren «Hauptwil» aufgegeben wurde.

Im Spätmittelalter war Hauptwil Teil der kleinen Gerichtsherrschaft Blidegg, zu der auch Zihlschlacht und Degenau gehörten. Damals war die Herrschaft im Besitz der Herren Riff, genannt Welter. In der Mitte des 16. Jahrhunderts ging sie an die Herren von Hallwyl. Für die spätere Entwicklung des Weilers war richtungsweisend, dass das Chorherrenstift St.Pelagius in Bischofszell um 1430 in der Talmulde zwischen Hauptwil und Wilen mehrere Karpfenweiher anlegen liess, womit die Voraussetzung für die spätere Nutzung der Wasserkraft und damit der Industrialisierung in Hauptwil geschaffen war. Als erstes Gewerbe ist für das Jahr 1448 eine Mühle belegt.

Zusammen mit dem Dorfbach, einst auch Wildbach genannt, entstand damit ein Wasserfluss, der ideale Voraussetzungen für das spätere Leinwandgewerbe und weitere Textilunternehmen bot. Ein klug angelegtes Kanalsystem, das den Dorfbach im Bedarfsfall in den Gwandweiher und den Hauptwiler Weiher umleiten konnte, bildete das Reservoir für die ganzjährige und regelmässige Versorgung mit Wasser. Mittels eines weiteren Kanals gelangte die Energie zu den verschiedenen gewerblichen Betrieben im Dorf. Eingeschlossen in dieses System waren auch der heute nur noch als Geländemulde erkennbare Weiher im «Kräkelmoos» bei der Station Hauptwil (heute Hummelberg) sowie der Niederwiler Weiher.

Auf Initiative des Verschönerungsvereins erbaute man um 1900 im Hauptwiler Weiher eine Badehütte. Eine neue Badeanlage wurde 1972 anlässlich der Weihersanierung erstellt. Die ganze Weiherlandschaft ist heute ein Naturschutzgebiet, das vielen seltenen Tier- und Pflanzenarten eine Heimat bietet.

Hauptwiler Weiher
Horber Weiher

Das Gonzenbachsche Zeitalter (17./18. Jahrhundert)

Die Familie Gonzenbach, welche das Schicksal von Hauptwil während Jahrhunderten prägte, stammte ursprünglich aus dem Toggenburg. Das Geschlecht liess sich in Bischofszell nieder, wo es im 16. Jahrhundert der dortigen patrizischen Oberschicht angehörte. Schon früh besass es auch Grundbesitz in Hauptwil, darunter die Mühle, den Hauptwiler Weiher und das Alte Schloss, welches es um 1600 ausbauen liess. Heinrich Gonzenbach (1585-1650) übersiedelte nach St.Gallen, wo er 1607 das Bürgerrecht annahm. Er und seine Söhne machten sich einen Namen als erfolgreiche und bald sehr wohlhabende Kaufleute im Leinwandhandel.

Wegen der innovationsfeindlichen Struktur der sanktgallischen Leinenindustrie beschlossen die Brüder Hans Jacob (1611-1671) und Bartholome Gonzenbach (1616-1693) den Wegzug nach Hauptwil. Dort hatten sie inzwischen das Gerichtsrecht und weitere Liegenschaften erworben.

«Zum Zeitpunkt des Aufbaus ihrer Leinenmanufaktur (1665-1670) gehörte ihnen nahezu der ganze Gemeindebann sowie die westlich von Hauptwil gelegene Niedermühle auf sanktgallischem Boden.»

Die Übersiedlung von St.Gallen nach Hauptwil und der Einzug ins neu erstellte Obere Schloss fand im Frühling 1666 statt. Damals gab sich die Familie die adlige Bezeichnung «Gonzenbach von und zu Hauptwil», da sie nun dem Stand der thurgauischen Gerichtsherren angehörte.

Innenaufnahmen vom Schloss Hauptwil (Obere Schloss)

Bis 1670 entstanden rund vierzig Wohn- und Gewerbehäuser, was ein einmaliges Ereignis in der ostschweizerischen Industriegeschichte war und grosses Aufsehen erregte. Die wichtigsten aus jener Zeit noch erhaltenen Gebäulichkeiten sind das frühbarocke Obere oder Neue Schloss, das Tortürmli mit zeitgenössischem Uhrwerk, das Kaufhaus, der «Löwen», das Spittel, das Haus «Traube» sowie der Langbau, welcher inzwischen als das älteste Arbeiterwohnhaus der Schweiz gilt. Als bewunderte, aber auch angefeindete Wirtschaftspioniere revolutionierten die beiden Brüder das bisherige Produktionssystem und übten mit ihrer fortschrittlichen, frühkapitalistischen Denkweise massgeblichen Einfluss auf weitere Leinwandorte der Ostschweiz aus.

«Der Erfolg gab ihnen Recht, denn bald gehörte ihr Unternehmen zu den wichtigsten Textilexporteuren der Eidgenossenschaft.»

Zur Sicherung ihres Besitztums errichteten sie eine Familienstiftung («Fideikommiss»). Die etwa 200 Bewohner bildeten eine zusammengewürfelte Gesellschaft mit Herkunft aus verschiedenen eidgenössischen Gebieten. Sie alle waren vollständig von der Familie Gonzenbach abhängig, da sie von ihnen Arbeit empfingen und die Wohn- und Gewerbehäuser nur pachtweise bewohnen und benutzen durften.

Spittel Hauptwil
Trauben Hauptwil
Bürobetrieb in alten Räumen

«1693, während einer längeren Krisenperiode, trennten sich die beiden Familien.»

Sie teilten die Manufaktur und allen weiteren Besitz im Dorf auf, und Bartholome trat mit seinem Anteil aus der Familienstiftung aus. Im Oberen Schloss betrieb der Zweig Hans Jacob weiterhin den Handel mit Leinenstoff. In den Jahren 1720 bis 1760 waren es allerdings die drei ledigen Schwestern Cleophea, Judith und Elisabeth, welche mit dem Einsatz ihrer finanziellen Mittel und tatkräftiger Mitarbeit wertvolle Dienste zur Erhaltung des Betriebes leisteten und wesentlich zu seinem längerfristigen Bestand beitrugen. Um 1790 stellte dann dieser Familienzweig den Leinwandhandel ein. Die Nachkommen Hans Jacobs IV wohnten noch einige Jahrzehnte im Oberen Schloss in Hauptwil und bekleideten höhere Militärränge und Gemeindeämter, doch die finanziellen Mittel der Familie waren inzwischen weitgehend erschöpft.

«Im anderen Dorfteil mit Altem Schloss und Kaufhaus versuchten die Nachkommen Bartholomes erfolglos, eine eigene Manufaktur einzurichten.»

Nachdem dieser Besitzanteil an einen Verwandten aus der Hans Jacobschen Linie übergegangen war, wurde hier um 1740 in grösserem Umfang die Produktion von Stoffdruck, die sogenannte Indienne-Industrie, aufgenommen. Der Appenzeller Peter Schaltegger-Rordorf hatte in diesem Teil von Hauptwil allerdings bereits in den 1720er-Jahren erste Versuche auf diesem Fachgebiet getätigt. Unter Anton Gonzenbach gelangte dann der Textildruck um 1780 zu höchster Blüte. Ausdruck davon ist die damals erstellte «Fabrique» («Gelbbau» am Hölderlinweg), welche die wohl schönste Industriebaute aus der Barockzeit in der Schweiz ist. Mit seiner Heirat mit Ursula aus dem Oberen Schloss leitete Anton auch die Versöhnung der beiden Familienzweige ein. 1783 zog er mit seiner grossen Familie vom Alten Schloss in das neu und luxuriös ausgestattete Kaufhaus. Nach 1800 fand auch dieses Unternehmen ein rasches Ende. Anton Gonzenbach übergab die Firma und die Liegenschaften seinen drei aus Zürich stammenden Schwiegersöhnen Esslinger, Kramer und Landolt, welche den Betrieb jedoch bald einstellten.

Kaufhaus Hauptwil

Der Dichter Friedrich Hölderlin

Im Januar 1801 trat der neben Goethe, Schiller und Kleist bedeutendste deutsche Dichter, Friedrich Hölderlin (1770-1843), als Hauslehrer in den Dienst der Familie Anton Gonzenbach. Er unterrichtete die Kinder seines Hausherrn in der Bibliothek am nördlichen Ende des Kaufhauses. Seine Wohnung hatte er wohl im benachbarten Alten Schloss, wo eine Gedenktafel angebracht ist.

«In Hauptwil setzte Hölderlin sein lyrisches Schaffen fort und verfasste hier nachweislich das Epos «Unter den Alpen gesungen».»

Über die kurze Dauer seines hiesigen Aufenthaltes ranken sich viele Vermutungen, wobei keine Erklärung restlos zu überzeugen vermag. Seine Anwesenheit verlieh dem Dorf jedoch einen Glanz, der seither immer wieder viele Bewunderer nach Hauptwil zu locken vermochte; unter ihnen finden sich so bekannte Grössen wie der Philosoph Martin Heidegger oder der Dichter Robert Walser.

Die Revolutionszeit der Helvetik (1798-1803)

In den unruhigen Jahren des Umbruchs in der Eidgenossenschaft standen Hauptwil und drei seiner prominenten Bewohner im Brennpunkt des Geschehens. Johann Joachim Brunnschweiler und sein Bruder Enoch, die um 1786 von Erlen zugewandert waren und die Färberei im «Spittel» in Pacht hatten, machten mit ihrem Gerichtsherrn im Oberen Schloss, Hans Jacob IV Gonzenbach (1754-1815), gemeinsame Sache und trieben die Befreiung des Thurgaus aus eidgenössischer Untertanenschaft voran. Eine bedeutende Rolle spielte dabei die Herausgabe einer anonym erschienenen Schrift mit dem Titel «Unmassgebliche Vorschläge eines Thurgöwischen Volks-Freundes», deren Urheberschaft zu Recht einem oder mehreren dieser Männer zugeschrieben wird. Hans Jacob Gonzenbach wurde 1799 zum ersten Stadthalter des neuen Thurgaus ernannt, also zum Haupt der Kantonsregierung. Während der kurzen Besatzungszeit des Thurgaus durch die österreichischen Truppen im Jahre 1799 unternahm er den umstrittenen Versuch, die vorrevolutionären Zustände teilweise wiederherzustellen.

Als aber die Franzosen den Thurgau zurückeroberten, stand Gonzenbach als Verräter da und musste ins Exil nach Deutschland.

Sein missglücktes politisches Abenteuer bezahlten er und seine Verwandten in Hauptwil mit dem Verlust eines grossen Teils ihres Vermögens. Im Gegensatz zu ihm blieben die beiden Brunnschweiler Brüder den ursprünglichen Revolutionsideen treu.

Das politische Engagement der drei Männer führte dazu, dass Hauptwil als «Rütli des Thurgaus» bezeichnet wird. 1998, im 200. Gedenkjahr an diese geschichtsträchtigen Ereignisse, pflanzten die Hauptwiler eine Linde und brachten zwischen der evangelischen Kirche und dem Schloss eine Erinnerungstafel an.

Die Familien Brunnschweiler und ihre «Rotfarb» (1786-1984)

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts zogen mit den Familien Pol und Zellweger neue, vermögende Familien ins Dorf. Daneben übernahmen die bereits ansässigen Brunnschweiler und Dolder mehrere Gebäulichkeiten der Familie Gonzenbach und betätigten sich im Färbereigewerbe. Hauptwil wurde in der Folge zu einem bekannten Zentrum der Färbekunst.

Längerfristig gesehen wurden die Brunnschweiler zur bedeutendsten dieser Hauptwiler Unternehmer. Der bereits erwähnte Johann Joachim Brunnschweiler (1759-1830) und seine Nachkommen erwarben nach und nach Liegenschaften im östlichen, oberen Dorfteil und bauten ihr Geschäft zu einer der renommiertesten Rotfärbereien aus. Zu den wichtigen Gebäulichkeiten ihres Unternehmens gehörten das Weiherhaus (ehemalige Walke), das spätere Gemeindehaus und das Haus zur Linde (Oberdorfstrasse 7). 1856 kehrte die Firma in den westlichen Dorfteil zurück, wo sie eine neue Fabrikanlage erstellen liess. Teile dieser in Lehmbauweise errichteten «Rotfarb»stehen noch heute.

Die Familie Brunnschweiler gilt ganz allgemein als grosse Fördererin der aus Lehm bestehenden sogenannten Pisé-Häuser.

Ihr Baumeister war der aus Deutschland eingewanderte Matthias Kliebenschädel. Dank ihnen ist Hauptwil heute das Dorf mit der grössten Anzahl historischer Lehmhäuser in der Schweiz.

Alter Frohsinn
Schlössli Hauptwil
Etikette Färberei Brunnschweiler

Auch beim Bau der Eisenbahnlinie Sulgen-Gossau liess es die Familie Brunnschweiler nicht an tatkräftiger Unterstützung mangeln. 1876 fuhr der erste Dampfzug in der Station Hauptwil ein. 1936 wurde die Strecke elektrifiziert.

Dem wachsenden Vermögen entsprechend bezogen die verschiedenen Zweige der Familie Brunnschweiler herrschaftliche Wohnhäuser im Dorf: das Kaufhaus und das Haus zur Rose (Hauptstrasse 27, Lehmbau) sowie das umgebaute Weiherhaus. Für die Belegschaft stellten die Unternehmer verschiedene mietgünstige Wohngelegenheiten im Dorf zur Verfügung, so etwa das Haus «Sonnenbühl» (Schaltegg 4) und der umgebaute «Gelbbau» (Hölderlinweg). Die wechselhafte Geschichte der Firma Brunnschweiler ging 1984 zu Ende. Heute befindet sich auf dem Fabrikareal ein Gewerbezentrum.

Rotes Haus (früher Pfarrhaus)
Flugaufnahme 2005

Weitere Textilindustrie in Hauptwil und Sorntal

Die industrielle Tätigkeit in Hauptwil beschränkte sich bald nicht mehr nur auf die Färberei.

Auf Initiative von Enoch Brunnschweiler entstand bereits im frühen 19. Jahrhundert auf dem Areal der abgegangenen Niedermühle westlich von Hauptwil das neue Textilzentrum Sorntal, das zeitweise Spinnerei, zeitweise Weberei war. Es stand zwar auf sanktgallischem Boden, doch war es aufgrund der Besitzverhältnisse stets eng mit Hauptwil verknüpft. 1891 kam es in die Hände der Familie Brunnschweiler, welche es mit der Firma Froehlich, Brunnschweiler & Co. in Ennenda verschmolz. Das letzte Kapitel dieser Firma bis zu ihrer Schliessung im Jahre 2005 schrieb die Weberei ZETAG. Ihr Direktor Gottlob Lutz richtete in einem der Gebäude ein sehenswertes Textilmuseum ein, das Teil des Industrielehrpfades Hauptwil-Bischofszell ist.

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden weitere Unternehmen im Textilsektor. Im stattlichen Gebäude nahe der Strassenkreuzung, das einst die Grosse Walke der Gonzenbachschen Manufaktur war, zog eine Seidenweberei ein. 1905 zog diese, jetzt unter dem Namen des zürcherischen Firmeninhabers Otto Honegger, in einen Neubau an der Dorfstrasse um. Diesem Unternehmen setzten jedoch der Erste Weltkrieg und die Weltwirtschaftskrise der 1930er-Jahre dermassen zu, dass es zu Konkursen und raschen Besitzerwechseln kam. Erst die Rheinecker Textilfirma Baerlocher, welche die Weberei zur Herstellung eigener Spezialprodukte betrieb, brachte während einiger Jahrzehnte die erhoffte Stabilität.

Ehemalige Stickerei Anderegg
Ehemalige Weberei

Fast gleichzeitig mit der Seidenweberei kam auch die Stickereiindustrie auf. Vorerst waren meist Kleinunternehmer in diesem Sektor tätig. Ihre mächtigen Maschinen standen jeweils in Kellerräumen oder Anbauten. Ein mittelgrosser Betrieb, der in den Nebengebäuden des Oberen Schlosses untergebracht war, wurde ein Raub der Flammen. Um 1910 gründete dann August Brunnschweiler mit einem repräsentativen Neubau an der Strasse nach Waldkirch eine grössere Stickereifabrik. 1973 wurde sie von der Firma Anderegg übernommen.

Als diese 1994 ihren Sitz in Hauptwil aufgab, bedeutete dies das Ende der hiesigen Textilindustrie, welche einst den Ruf der Gemeinde begründet hatte.

Vorübergehend war auch die Jacquardweberei Niederer in Hauptwil beheimatet. In den 1850er- und 1860er-Jahren erlebte sie hier eine beachtliche Blüte. Um einen weiteren Ausbau möglich zu machen, verlegte Johann Jacob Niederer die Geschäftstätigkeit nach Bischofszell, wo seine Firma zu einem der wichtigsten Arbeitgeber des Städtchens wurde.

Schule und Kirche in Hauptwil

Nach der Reformation war Hauptwil vorerst konfessionell gemischt. Nachdem jedoch die Familie Gonzenbach 1666 in Hauptwil eingezogen war, gab es während Jahrzehnten kaum mehr Katholiken im Dorf. Für den evangelischen Gottesdienst richtete sie im Oberen Schloss eine Kapelle ein.

Zum Pflichtenheft des Schlosspredigers gehörte auch der Schuldienst, in dessen Genuss vor allem die Kinder aus dem Schloss kamen.

1768 gründeten die Gonzenbach eine Freischule und stellten auf ihre Kosten einen weltlichen Lehrer an. Der Unterricht im ersten kleinen Schulhaus, dem späteren Feuerwehrdepot beim Tortürmchen, war jedoch noch nicht obligatorisch. Viele Kinder verpassten die Schulstunden, weil sie schon in zartem Alter in der Landwirtschaft oder in den Manufakturen arbeiten mussten. 1842 konnte an der Rotfarbstrasse ein neues Schulhaus eingeweiht werden. Es war im Thurgau das erste, das in der kostengünstigen Lehmbauweise erstellt wurde; bald sollten danach mehrere thurgauische Gemeinden diesem Beispiel folgen. 1960 konnte das jetzige Schulhaus bezogen werden.

Mit dem Bau der Mehrzweckhalle 1989 an der Stelle der früheren Turnhalle standen fortan auch den Vereinen schöne, geeignete Räumlichkeiten zur Verfügung.

Im frühen 19. Jahrhundert entfremdete sich der zuvor genannte Färbereiunternehmer Johann Joachim Brunnschweiler der rationalen Ausrichtung der reformierten Landeskirche. Er nahm Kontakt auf mit religiösen Erweckungsgruppen in der Ostschweiz, was schliesslich um 1830 zur Abspaltung von der Landeskirche und zur Gründung pietistischer Zirkel in Hauptwil führte. Seine Tochter Susanne heiratete den umstrittenen Aargauer Theologen Samuel Fröhlich, der wegen seiner radikalen Gesinnung aus dem Thurgau ausgewiesen wurde. Dank kräftiger Unterstützung durch die Familien Brunnschweiler blieb Hauptwil ein regionales Zentrum der pietistischen Glaubensausrichtung. Die Freikirche unter dem Namen Freie Evangelische Gemeinde (FEG) hat auch heute noch einen festen Platz in der Gemeinde. Die Gottesdienste finden im ehemaligen Fabrikgebäude Niederer an der Oberdorfstrasse 4 statt.

Wenig Freude an dieser Bewegung hatte einst der Schlossprediger und Bischofszeller Diakon Johann Adam Pupikofer, der über Jahrzehnte in der Schulkommission von Hauptwil tätig war. Besondere Verdienste erwarb er sich als Präsident der Gemeinnützigen Gesellschaft sowie als bedeutender Geschichtsschreiber des Thurgaus. 1861 wurde er zum Kantonsarchivar ernannt und 1872 verlieh ihm die Universität Zürich den Titel eines Ehrendoktors.

Als 1879 Major Emanuel Brunnschweiler das Obere Schloss erwarb und mitsamt der Kapelle dem wortgewaltigen Prediger Otto Stockmayer (1838-1917) und seiner Anhängergemeinde zur Verfügung stellte, fehlte den in der Landeskirche verbliebenen Evangelischen ein Raum für ihren Gottesdienst. Unter grosser Opferleistung errichteten sie 1886 ihre eigene Kirche. Um 1940 erhielt diese eine umfassende Erneuerung und ein zeitgemässeres Aussehen. Das Schloss selber ging nach dem Tod Stockmayers 1919 in den Besitz der Thurgauischen Gemeinnützigen Gesellschaft über, die dort bis 1951 eine Haushaltungsschule betrieb. Seit 1952 steht das Schloss alten und pflegebedürftigen Menschen zur Verfügung. Auf Januar 2010 übernahm es die di-Gallo-Gruppe.

Der katholische Bevölkerungsteil, der stets der Pfarrei Bischofszell angehörte, nahm in den letzten hundert Jahren ständig zu, nicht zuletzt wegen der bereits vor 1900 einsetzenden Zuwanderung italienischer Arbeitskräfte. Von 1942 bis 1967 fanden sich die katholischen Gläubigen in einer Kapelle im Alten Schloss zum Gottesdienst zusammen. Seit 1968 benutzen sie die schmucke Antoniuskirche.

Freihirten

Eine besondere Stellung innerhalb des Gemeindebannes von Hauptwil hatte der Weiler Freihirten.

Die historisch richtige Bezeichnung wäre zwar Freiherten, doch bürgerte sich bereits im 18. Jahrhundert der Name Freihirten ein.

Es handelte sich um einen eigenen kleinen Niedergerichtsbezirk, der im Besitz der Herren von Andwil und der Blarer von Wartensee war und 1654 durch Kauf an die Familie Gonzenbach kam. Als ehemaliges Lehensgebiet des Fürstabtes von St.Gallen hatte Freihirten eine vorwiegend katholische Bevölkerung. Hervorzuheben ist das Geschlecht Forster, das im 19. Jahrhundert zweimal den Ortsvorsteher von Hauptwil stellte und auch die hiesige Mühle betrieb.

Gottshaus

Die weitläufige ehemalige Ortsgemeinde Gottshaus erstreckte sich von der Grenze gegen Bischofszell dem linksufrigen Sitterufer entlang bis zur St.Galler Grenze. Trotz dieses grossen Gebietes fehlte ein Zentrum. Von den rund vierzig Weilern und Einzelhöfen hat jeder seine eigene interessante Geschichte. Die ältesten Nennungen sind jene von Osterwald (1277) und Rothen (1285).

Der Name «Gottshaus» geht zurück auf das Chorherrenstift Bischofszell, welches hier vom Spätmittelalter bis 1798 die Herrschaft und das Gerichtsrecht ausübte sowie vier der fünf Weiher und einige Höfe besass.

Einige noch bestehende oder verschwundene Gebäulichkeiten verdienen besondere Erwähnung. Im Spätmittelalter stand im abgegangenen Weiler Wengi beim Hof Zorn ein sogenannter Kehlhof, d.h. ein herrschaftliches Verwaltungszentrum mit Gerichtsplatz. Das heutige Gut Rütihof steht auf dem Fundament eines alten Steinhauses, das in den Quellen als «Schloss» bezeichnet wurde und zeitweise von einem Junker Keller bewohnt war. Schon früh erwähnt sind die drei Gottshauser Mühlen Eberswil, Lauften und Tobelmühle; jene im Horbach entstand hingegen erst im frühen 19. Jahrhundert.

Schule und Kirche in Gottshaus

Die ältesten Hinweise auf Schulen in Gottshaus gehen auf die Mitte des 17. Jahrhunderts zurück, wobei der Unterricht in der Stube des jeweiligen Lehrers stattfand. Das erste richtige Schulhaus für die evangelischen Kinder wurde 1839 in Wilen errichtet. 1848 zogen die Katholiken mit dem Gebäude auf dem Hoferberg nach; zuvor fand ihr Unterricht beim Schulmeister auf St.Pelagiberg und dann in Mollishaus statt. Mit dem kantonalen Beschluss zur Aufhebung konfessioneller Schulen im Jahre 1869 ging man dann auch in Gottshaus zum gemeinsamen Unterricht über.

In den Jahren 1913/14 entstand der Neubau auf dem Hoferberg. Ein besonderer Meilenstein war der Bezug des neuen Schulhauses mit Turnhalle und Sportplatz im Jahr 1968. Damit erhielten die Einwohner in der weitläufigen Gemeinde eine Art Zentrum, in dem in der Zwischenzeit so mancher Anlass wortwörtlich «über die Bühne ging». 1986/87 erfolgte die Erweiterung der Schulanlage um einige Klassenzimmer, und für den Sportunterricht wurde ein Trockenturnplatz erstellt.

Ehemalige Schulhäuser Hoferberg
Kath. Kirche St. Pelagiberg

Zahlenmässig überwog seit der Zeit der Reformation stets die evangelische Bevölkerung, doch hatten die Katholiken dank der Vorherrschaft des Chorherrenstifts lange Zeit allein Anspruch auf das Amt des Gemeindeammanns und sie wurden auch bei der Besetzung der Richterämter bevorteilt. Erst mit dem Landfrieden von 1712 kam es bei der Ämterbesetzung zur gleichmässigen Berücksichtigung der beiden Konfessionen.

Die evangelischen Bewohner gehören seit jeher zur Kirchgemeinde Bischofszell-Hauptwil. Die kirchlichen Dienste wie Taufen, Konfirmation, Hochzeiten und Abdankungen nehmen sie in der Kirche Hauptwil wahr. Katholisch-Gottshaus gehörte kirchlich vollständig zur Pfarrei Bischofszell, bis sich 1908 die Bestrebungen zur Schaffung einer eigenen Pfarrei in St.Pelagiberg im oberen Gottshaus durchsetzten.

St.Pelagiberg

Die Siedlung St.Pelagiberg liegt auf einer der Dolinen (Rundhügel), von denen es mehrere im Gebiet von Gottshaus gibt.

Es ist der höchste Punkt der Gemeinde und bietet eine herrliche Rundsicht auf den Alpstein und den Bodensee.

Die erste Erwähnung einer Kapelle geht auf das Jahr 1486 zurück. Im Laufe der Jahrhunderte trat in diesem Wallfahrtsort die Verehrung des einstigen Hauptpatrons, des hl. Pelagius, zugunsten der Gottesmutter Maria zurück. Im 18. Jahrhundert hauste ein vom Chorherrenstift ernannter Einsiedler in einer einfachen Klause neben der Kapelle.1888 entstand nach den Plänen des aus Waldkirch stammenden Augsburger Architekten Blasius Eusebius Studerus (1846-1925) ein Neubau. Dieser erfuhr 1955/1956 eine umfassende Modernisierung. Seit 1908 ist St.Pelagiberg eine unabhängige Kirchgemeinde. Noch immer vermag St.Pelagiberg Menschen in seinen Bann zu ziehen, als Wallfahrtsort, als Kraftort, als Ort der Einkehr oder als regionaler Treffpunkt der Anhänger der traditionalistischen Petrusbruderschaft.

St. Pelagiberg
Hasum

Auf St.Pelagiberg befindet sich auch das Kurhaus Marienburg, das einerseits als Altersheim dient, anderseits aber auch den Wallfahrern zur Verfügung steht. Die Wirtschaft St.Pelagius westlich der Kirche geniesst einen ausgezeichneten Ruf als Gourmet-Restaurant. Das Haus blickt auf eine lange Geschichte zurück, war doch das einstige Mesmerhaus während einiger Jahrzehnte auch das Schulhaus für die katholischen Kinder und beherbergte ausserdem eine Garnsiederei.

Bevölkerung, Wirtschaft und Verkehr in Gottshaus

Die Mehrzahl der Weiler und Höfe veränderte seine Grösse über die Jahrhunderte kaum.

Gemäss der Beschreibung des Geschichtsschreibers Johann Adam Pupikofer zählte die Gemeinde 1837 insgesamt 140 Häuser; 1960 waren es nur gerade fünf mehr.

Nach der Ausscheidung von Bauzonen nach 1980 entstanden dann allerdings einige grössere Ortschaften. Vor allem Wilen und Trön-St.Pelagiberg verfügen über Bauland an schöner Wohnlage und erlebten in den letzten Jahrzehnten einen gewissen Bauboom.

In früheren Jahrhunderten war die Beschäftigung fast ausschliesslich auf die Landwirtschaft und die textile Heimarbeit sowie die lokalen Bedürfnisse in Handwerk und Gewerbe ausgerichtet. Dies änderte sich vorerst auch nicht, als um die Mitte des 19. Jahrhunderts die Stickerei Einzug hielt und in vielen Häusern Webstühle eingebaut wurden. Erst in neuerer Zeit kam es zu einem breiteren Angebot an Arbeitsplätzen.

Die gegen Ende des 19. Jahrhunderts zunehmend höhere Mobilität der Bevölkerung rief nach besserer Erschliessung der einzelnen Weiler. Nach und nach übernahm die Gemeinde einen Grossteil der früheren Korporationsstrassen und privaten Zufahrtswege. Im Laufe des 20. Jahrhundert erhielten auch nahezu alle Naturstrassen einen Teerbelag.

Der Weg über die Sitter war für Fuhrwerke lange Zeit nur bei tiefem Wasserstand möglich. Für Personen standen hingegen seit dem Mittelalter Fähren zur Verfügung.

Heute besteht nur noch jene bei der Gertau. An die Stelle der Fähren traten Brücken, welche dem stärker aufkommenden Verkehr Rechnung trugen: die Rothenbrücke (1910/11) und die Leutswilerbrücke (1911). Während die architektonisch interessante Rothenbrücke vor wenigen Jahren eine sanfte Renovation erfuhr, musste die Leutswilerbrücke 2008 einem grosszügigen Neubau weichen. Da Gottshaus keine direkte Anbindung an das Eisenbahnnetz hat, erfolgte die Erschliessung durch den öffentlichen Verkehr mittels Postautokursen sowohl von Bischofszell als auch von Arnegg aus.

Der Weg zur Politischen Gemeinde Hauptwil-Gottshaus

In der Revolutionszeit am Ende des 18. Jahrhunderts zog sich noch ein tiefer Graben zwischen den beiden Gemeindeteilen, denn während Hauptwil eine treibende Kraft bei der Erreichung der Unabhängigkeit des Thurgaus und der Einführung der helvetischen Einheitsverfassung war, kämpfte die Gottshauser Bauernschaft mehrheitlich und vehement gegen diese «unschweizerischen» Neuerungen. 1803 wurden die beiden Teile dennoch zu einer Munizipalgemeinde mit einem gemeinsamen Gemeinderat unter der Führung eines Gemeindeammanns zusammengefasst. Es handelte sich um eine von Napoleon I. geschaffene Einrichtung, die sich nur im Thurgau während längerer Zeit halten konnte. Die Kompetenzen der Munizipalgemeinde lagen vor allem auf dem Gebiet der Einwohnerkontrolle, der Durchführung kantonaler und eidgenössischer Wahlen und Abstimmungen, dem Zivilstands- und Steuerwesen, der Lebensmittelkontrolle, der Beaufsichtigung des Gastgewerbes usw. Nach dem Bau des Schulhauses auf dem Hoferberg und der evangelischen Kirche in Hauptwil fanden die Versammlungen der Stimmberechtigten wechselweise in diesen Gebäulichkeiten statt.

Neben der Munizipalgemeinde blieben die beiden Ortsgemeinden weiterhin bestehen. Sie befassten sich vor allem mit folgenden Sachgebieten: Bauwesen, Raumplanung, Strassen- und Brückenbau, Feuerwehr, Umweltfragen, Infrastruktur und Entsorgung. Typisch war dabei, dass viele Aufgaben in Korporationen durch die direkt betroffene Bevölkerung oder Kleinregion geregelt und gelöst wurden. Im Falle von Hauptwil ging es vorerst einmal darum, sich aus der noch immer bestehenden Vorherrschaft der Familie Gonzenbach im Oberen Schloss zu befreien. Erst allmählich konnte die neu geschaffene Gemeinde die Schule, die Feuerwehr, die Nachtwache und die Kirchenbenutzung zu ihren eigenen Aufgaben machen.

Eine schwierige Zeit kam für Gottshaus um 1870, als sich vor allem im Gebiet gegen Bischofszell Abspaltungstendenzen bemerkbar machten. Der Aderlass konnte damals aber dank eines regierungsrätlichen Entscheids noch abgewendet werden. Nichtsdestotrotz löste man gewisse Aufgaben in den Randgebieten immer wieder gemeinsam mit den jeweils nähergelegenen Nachbargemeinden Bischofszell, Häggenschwil und Waldkirch. An alte Zeiten erinnerte noch immer die Tatsache, dass Gottshaus über kein administratives Zentrum verfügte, dass also die Amtshandlungen im jeweiligen Wohnhaus des Ortsvorstehers und des Zivilstandsbeamten vorgenommen wurden.

Neuere Wohnquartiere

Der mit der Schaffung grösserer Bauzonen einhergehende Ausbau der Infrastruktur brachte Gottshaus an den Rand der finanziellen Überforderung. Der Zusammenschluss mit einer der Nachbargemeinden, wie es vom Kanton schon lange gefordert wurde, war daher kaum mehr zu umgehen.

1996 wurde nach einem mehretappigen Abstimmungsprozedere der Zusammenschluss Tatsache.

Dieser wurde dadurch erleichtert, weil Hauptwil schon länger über eine gut funktionierende Gemeindeverwaltung verfügte, die dank eines Ausbaus auch den neuen Aufgaben gewachsen war. Ein Wermutstropfen war, dass der Bereich Stocken/Breite kurz zuvor an Bischofszell abgetreten werden musste.

Text: Ernest  Menolfi, Mai 2012